Wenige Wochen vor Ende des Jahres 2025 hat die steuerliche Situation der Selbstständigen in Spanien einen Punkt ohne Wiederkehr erreicht. Was als Versprechen zur Verwaltungsvereinfachung begann, hat sich zu einem institutionellen Dreieckskonflikt zwischen der spanischen Regierung, den Verbänden der Selbstständigen und der Europäischen Kommission entwickelt.
Die Exekutive hat über das Finanzministerium die parlamentarischen Änderungsanträge endgültig abgelehnt, die eine „Null-Mehrwertsteuer“ für Jahreseinkommen unter 85.000 Euro im Inland einführen wollten. Stattdessen beschränkte die Regierung die Umsetzung der EU-Vorschriften ausschließlich auf Verkäufe im Ausland. Diese Entscheidung hat dazu geführt, dass Organisationen wie die UPTA (Union der Freiberufler und Selbstständigen) ihre Beziehungen zur Steuerbehörde formell abgebrochen haben und von einer „steuerlichen Verfolgung“ sprechen, während Brüssel den Ton verschärft und eine „mit Gründen versehene Stellungnahme“ an Spanien gesendet hat – der letzte Schritt vor einer Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.
Chronik einer parlamentarischen Abfuhr
Das endgültige „Nein“ im Kongress
Während der finalen Beratung des Haushalts und der begleitenden Steuergesetze im November 2025 wurde die letzte legislative Schlacht geschlagen, um die inländische Mehrwertsteuerbefreiung (das sogenannte Franchise-System) noch zu retten. Die oppositionelle Volkspartei (PP) brachte spezifische Änderungsanträge ein, um die Regierung zur nationalen Anwendung der Regelung zu zwingen, mit dem Argument, dass Inflation und bürokratische Kosten die Kleinstunternehmen ersticken würden.
Der Regierungsblock lehnte diese Vorschläge jedoch ab. Das vom Finanzministerium vorgebrachte Argument blieb unverrückbar: Die Richtlinie (EU) 2020/285 erlaubt den Mitgliedstaaten die Befreiung, schreibt sie jedoch für interne Umsätze nicht vor. Das Finanzamt klammerte sich an den Wortlaut der Norm, um deren Anwendung in Spanien zu blockieren, und priorisierte dabei die Erhebungskapazität und die Betrugsbekämpfung gegenüber der administrativen Vereinfachung.
Das Paradoxon der Formulare 041 und 350
Die Weigerung, die Norm im Inland anzuwenden, hat ein schizophrenes Verwaltungsszenario geschaffen, das sich in zwei neuen Formularen manifestiert, die Ende des Jahres in die öffentliche Anhörung gingen:
- Modell 041: Ermöglicht es einem spanischen Selbstständigen, die Mehrwertsteuerbefreiung zu beantragen, wenn er an einen Kunden in Frankreich oder Deutschland verkauft.
- Modell 350: Eine vierteljährliche informative Erklärung zur Kontrolle, dass die Umsatzgrenze von 100.000 Euro in der EU nicht überschritten wird.
Das Ergebnis ist, dass ein Klempner aus Logroño steuerlich leichter Dienstleistungen in Bordeaux erbringen kann als in seiner eigenen Stadt. Steuerexperten bezeichneten diese Situation als „technische Absurdität“ und wiesen darauf hin, dass der Selbstständige für seine tägliche inländische Tätigkeit die gesamte Struktur der Mehrwertsteuerabrechnung (vierteljährliches Modell 303 und jährliches Modell 390) beibehalten muss, während ihm für die Internationalisierung – die bei Kleinstunternehmen oft nur anekdotischen Charakter hat – ein theoretischer Vorteil geboten wird.
Brüssel verliert die Geduld: Das Vertragsverletzungsverfahren
Während Spanien intern debattierte, lief die rechtliche Maschinerie der Europäischen Union weiter. Die spanische Untätigkeit hat das Land ins Visier der Europäischen Kommission gerückt, der Hüterin der Binnenmarktregeln.
Von der Warnung zur realen Bedrohung
Im Vertragsverletzungspaket der zweiten Jahreshälfte 2025 hat die Europäische Kommission ihre Haltung verschärft. Nach dem Versand von Aufforderungsschreiben zu Jahresbeginn hat Brüssel nun mit Gründen versehene Stellungnahmen (reasoned opinions) an Spanien sowie an andere Nachzügler wie Rumänien oder Griechenland gerichtet. Die Kommission fordert die vollständige und wirksame Umsetzung der Richtlinie 2020/285.
Der Konflikt liegt in der Auslegung der Norm. Obwohl die inländische Anwendung optional ist, ist die Kommission der Ansicht, dass die von Spanien aufrechterhaltenen administrativen Hürden – durch das Fehlen eines Franchise-Regimes, das dem der EU-Partner entspricht – ausländische Unternehmen in der Praxis daran hindern, in Spanien unter demselben Regime zu operieren, was den freien Wettbewerb verletzen könnte. Spanien hat nun zwei Monate Zeit, um nachzubessern oder sich einer Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu stellen, was das Risiko von Millionenstrafen birgt.
Aufstand in der Branche: Abbruch der Beziehungen
Das soziale Klima zwischen den Selbstständigen und der Steuerverwaltung hat sich auf ein im letzten Jahrzehnt beispielloses Niveau verschlechtert.
UPTA bricht die Verhandlungen ab
In einem Schritt von großer politischer Tragweite kündigte die UPTA, die traditionell dialogbereit gegenüber der Koalitionsregierung war, im November 2025 die Aussetzung ihrer formellen Teilnahme am Arbeitstisch mit der Steuerbehörde an. Ihr Präsident, Eduardo Abad, erklärte: „Wir werden standardmäßig als Verdächtige behandelt. Verfolgt werden diejenigen, die am wenigsten Mittel haben.“ Die Organisation beklagt, dass Verpflichtungen zur steuerlichen Vereinfachung systematisch gebrochen wurden und dass die Lähmung der Mehrwertsteuerbefreiung ein „Unsinn“ sei, der eine nicht zu rechtfertigende steuerliche Kluft gegenüber großen Kapitalgesellschaften festige.
ATA und der „Steuerkrieg“
Der Nationale Verband der Selbstständigen (ATA) bezeichnete die Situation seinerseits als „Steuerkrieg“. Sein Präsident, Lorenzo Amor, wies darauf hin, dass Spanien in Europa isoliert dastehe und seinen Bürgern einen Wettbewerbsvorteil verweigere, den ihre portugiesischen, französischen oder italienischen Nachbarn genießen. Die ATA warnt, dass die Beibehaltung der Mehrwertsteuerpflichten in Kombination mit der bevorstehenden Pflicht zur elektronischen Rechnungsstellung (Verifactu) untragbare Kosten für Tausende von Kleinunternehmen bedeuten werde.
Die Landkarte des Wettbewerbsnachteils (Stand Dez. 2025)
Die „spanische Ausnahme“ wird besonders deutlich, wenn man die Entwicklung der direkten Handelspartner im letzten Jahr betrachtet:
Spanien: Totale Blockade (nur grenzüberschreitend). Pflicht zur Mehrwertsteuerabrechnung ab dem ersten Euro. Hohe Verwaltungskosten.
Italien: Konsolidiertes Regime Forfettario. Befreiung bis 85.000 €. Pauschalsteuer (Flat Tax) von 15 %. Durchschlagender Erfolg bei der Legalisierung der Schattenwirtschaft.
Polen: Vollständige Umsetzung. Neue Befreiung bis 200.000 PLN (~46.000 €) seit Januar 2025 wirksam. Massive Vereinfachung.
Rumänien: Aggressive Reform. Anhebung der Schwelle auf ~80.000 € (395.000 RON), um Steuerhinterziehung durch Vereinfachung zu bekämpfen.
Portugal: Modernisierung. Beibehaltung der Befreiung (Art. 53) und digitale Anpassung zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Handels.
Die Schlüsselzahl: Ein italienischer Grafikdesigner, der 40.000 € im Jahr fakturiert, spart ca. 2.500 € an Verwaltungskosten und berechnet keine Mehrwertsteuer (was ihn für Privatkunden 21 % günstiger macht). Sein spanischer Kollege muss die Mehrwertsteuer berechnen und Zeit sowie Geld aufwenden, um diese vierteljährlich abzuführen.
Das Argument des Finanzministeriums: Vorsicht oder Sammelwut?
Warum leistet Spanien so vehement Widerstand? Quellen aus dem Finanzministerium bestehen auf zwei Schlüsselpunkten, die die Reform blockiert haben:
- Die Angst vor dem „steuerlichen Zwergwuchs“: Das Finanzamt befürchtet, dass eine Schwelle von 85.000 Euro Unternehmen dazu anreizen könnte, Umsätze zu verschleiern, um das Limit nicht zu überschreiten – ein Phänomen, das als „Klippeneffekt“ bekannt ist. Man zieht es vor, alle Akteure im Mehrwertsteuersystem zu halten, um die vollständige Rückverfolgbarkeit der Wirtschaft zu gewährleisten.
- Die Priorität von Verifactu: Die Einführung der obligatorischen elektronischen B2B-Rechnung ist zum Vorzeigeprojekt der Steuerlegislatur geworden. Das Ministerium argumentiert, es könne nicht zwei strukturelle Änderungen gleichzeitig bewältigen. Paradoxerweise sei die Kontrolle, sobald Verifactu voll funktionsfähig ist (gegen 2026-2027), so umfassend, dass die Befreiung unnötig oder im Gegenteil einfacher umzusetzen sein könnte. Für die Selbstständigen bedeutet dies jedoch Jahre des Wartens und eine doppelte administrative Belastung.
Eine ungewisse Zukunft für 2026
Zum Redaktionsschluss dieses Berichts sind die Aussichten für die Verwaltungsvereinfachung in Spanien für das Jahr 2026 düster. Die im Kongress abgesicherte Weigerung der Regierung lässt Spanien als bürokratische Insel auf einem Kontinent zurück, der sich in Richtung Deregulierung kleiner wirtschaftlicher Aktivitäten bewegt.
Die einzige Hoffnung für Selbstständige liegt nun paradoxerweise außerhalb Spaniens: im Druck, den die Europäische Kommission durch die laufenden Vertragsverletzungsverfahren ausüben kann. Bis der EuGH ein Urteil fällt oder das Finanzministerium angesichts drohender Strafen nachgibt, wird der spanische Selbstständige der einzige unter den großen europäischen Nationen bleiben, der gezwungen ist, vom ersten Tag seiner Tätigkeit an als Steuereintreiber für den Staat zu fungieren.






